Der Aufpicker

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Im Sommer mehrmals und sogar noch im November war unserem Dorfmeister ein picobello gepflegter geschlossener Kastenwagen der Marke VW Caddy unter den Bäumen auf dem Parkplatz der Erpeler Ley aufgefallen. Das Auto stand dort vom frühen Samstagabend bis zum Montagnachmittag.
Jedes Mal hatte Friedl Kraft sich gefragt, wer diesen Wagen fuhr. Es blieb aber ein ungelöstes Rätsel. Auch andere Besucher auf den Wanderwegen kannten weder Fahrzeug noch Fahrer*in. Es konnte ein Werkstattwagen sein, vielleicht diente er auch als Campingvehikel. Aber nie war jemandem der zugehörige Mensch aufgefallen. Sehr seltsam.

Am Mittwoch nach Sankt Martin aber klärte sich alles auf. Während unser Dorfmeister eine seiner gewohnten Runden ging, drängte ihn eine innere Stimme unabweisbar deutlich, er solle doch mal wegen des verwaisten Caddys die Polizeistation in Linz anrufen. Und dann rückte die Polizei auch schon an. Paul Brederschneid, der sich wie Friedl Kraft im Dorf-Verschönerungsverein engagiert, öffnete mit professionellem Werkzeug die Schiebetür des Wagens und fand auf einer Luftmatratze liegend einen offensichtlich schon hochbetagten toten Mann. Neben ihm stand ein ausgebrannter Holzkohlengrill. Es gab keinerlei Grillgut, keinen Teller, kein Besteck. Der ganze Raum war bis auf Grillschale und Matratze komplett leer.

"Vorsicht!", ermahnte Paul sich selbst, seine junge Kollegin und Friedl Kraft, der schnell hinzugetreten war: "Vielleicht Kohlenmonoxid". Sie rochen aber nichts außer der kalten Holzkohlenasche. Am Boden neben der Hand des Toten lag ein A6-Kuvert mit dicker schwarzer Aufschrift CO !!!
Sie traten einige Schritte zurück. Brederschneid öffnete den Briefumschlag und las laut: "Ich wollte nicht ins Pflegeheim. - Adieu."
"Ja", meinte Paul zu Friedl und wandte sich seiner Kollegin zu, "das, Clara, ist eine Sache für die Kripo. Ruf du da mal sofort an. Die sollen sich umgehend auf die Socken machen mit allem drum und dran".

Schon im Laufe des Abends war im Prinzip klar, dass der Mann einen stillen Freitod gewählt hatte. Die Polizei hatte laut der in seinem Portemonnaie mitgeführten Personalien ermittelt, dass die Tochter des Verstorbenen schon öfter den Verdacht gehabt hatte, ihr Vater wolle um jeden Preis verhindern, mit seinen immer unvermeidlicher herandrängenden Altersgebrechen auf Dauer ins Pflegeheim zu müssen. Schon mehrmals im letzten Jahr hatte er sich übers Wochenende diesen picobello Kastenwagen geliehen, war aber zur Beruhigung seiner Tochter doch immer wieder von seinen Ausflügen nachhause gekommen.

Es gab dann ein wochenlanges Dorfgespräch darüber, wie sich solch eine arge Geschichte am besten, wenn überhaupt, verhindern ließe.